Hier ein Artikel aus dem Jahr 2004.

Magazin-Text [Essen und Trinken] Ausgabe [Dezember 2003 / Januar 2004]
Einmal Made, weichgekocht!01.12.2003 19:50 Uhr
F. Ochmann arbeitet als Insektenkoch in Berlin. Mit uns sprach er über die Zukunft des Essens.
von ingo_mocek

Herr Ochmann, Ihre Insekten leben ja noch! Wir dachten, die würden Sie gefroren kaufen...
Heuschrecken und Mehlwürmer kommen lebend aus dem Tierfuttergroßhandel, damit ich sie persönlich in den Froster stecken kann, wo sie sanft entschlafen.


Wie sind Sie zum Insekt gekommen?

Auf Hawaii habe ich mein erstes Insektengericht gesehen. Die Leute aßen dort Kakerlaken von gewaltiger Größe. Aber so etwas möchte ich in Deutschland nicht anbieten.


Wo ist die Grenze? W as essen die Leute, was essen sie nicht?

Die Europäer sind aufgeschlossene Esser, einzig eine Mehlwurm-Pannacotta kam auf meiner Karte nicht so gut an. Ansonsten gilt: Zum langsamen Herantasten an das Insekt sind süße Rezepte die besten. Wird eine Heuschrecke mit Schokolade überzogen, ist die Hemmschwelle am geringsten, etwa bei meinem Heuschreckenbounty auf Ananascarpaccio.


Sie sprechen von Insekten als dem Nahrungsmittel der Zukunft. W erden wir bald alle Maden und Käfer essen?

Das ist ein langsamer Prozess. Zwar ernähren sich bereits 80 Prozent der Weltbevölkerung zumindest teilweise von Insekten, dies geschieht jedoch vor allem in Ländern, deren Menschen ärmer sind — in wasserarmen Regionen, wo nicht viele andere Tiere leben.


Und in Europa?

Unsere Generation wird noch erleben, wie die Heuschrecke den Schritt von der Erlebnisgastronomie in den allgemeinen Hausgebrauch vollzieht. Immerhin sollten Sie bedenken, dass wir es hier mit einer außergewöhnlich schnell nachwachsenden Energiequelle zu tun haben, bei der niemand mit BSE rechnen muss. Und das bei einem Protein-Anteil, der mehr als doppelt so hoch ist wie der von Rindfleisch! Eine Heuschrecke ist mindestens so gesund wie ein Steak.


Aber eklig.

So eklig wie Austern, Schnecken, Froschschenkel und Shrimps. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Insekten seien schmutzig. Haben Sie schon einmal gesehen, wie sorgfältig sich Insekten putzen? Was soll daran schmutzig sein?


Wird sich am Ende der Entwicklung, die Sie voraussagen, die gesamte europäische Küche verändert haben?

Wenn wir uns in zehn Jahren unterhalten, werden auf jeden Fall wesentlich mehr Menschen Insekten probiert haben. Zumindest unser Restaurant läuft immer besser. Man muss den Menschen nur den Ekel nehmen.


Bestimmt haben Sie bereits die Methode Wilhelm Buschs angewandt, der seinen Gästen eine „Maikäfersuppe“ vorsetzte — ohne zu wissen, was auf ihren Tellern schwamm, verspeisten sämtliche Gäste die Suppe ganz.

Einmal sind wir losmarschiert und haben Leute auf der Straße ein Heuschreckendessert probieren lassen — ohne ihnen zu sagen, was es war. Denen hat es gut geschmeckt: „Oh, eine Praline“, hieß es etwa, oder: „Wahnsinn, eine Kaffeebohne“. Heuschrecke schmeckt nach Marone, nussig. Mehlwürmer sind schon eher gewöhnungsbedürftig. Auf dem Teller glänzen sie leicht und schmecken nach Popcorn. Insgesamt kann man Insekten aber ohne Probleme in die gängigen Gerichte integrieren.


Louis Armstrong bereitete sich stets ein Kakerlakensüppchen zu, wenn er erkältet war.

Kakerlakensuppe ist sehr eiweißhaltig. Aber diese Schabenoptik — da will ich die Leute nicht heranführen. Das ist Hardcore.


Was wäre Ihr nächster Schritt?

Skorpione und Tausendfüßler. Irgendwann werden sie zu unserer Ernährung gehören wie ein Schneckenpfännchen mit Estragon.


Werden wir also bald zu unserer Liebsten sagen: „Schatz, geh Milch holen, aber vergiss die Heuschrecken nicht?“

Schon heute können Sie Heuschrecken ganz normal kaufen. Es ist ja nicht so, dass ich meine Tiere aus geheimen Kanälen beziehe. Was sich verändern müsste, ist der Preis. Momentan sind die Insekten für mich im Einkauf teurer als Kaviar. Dabei haben sie einfach die bessere Energiebilanz. Ein Rind zum Beispiel muss acht Kilogramm pflanzliche Proteine verdauen, um ein Kilogramm wertvolles tierisches Eiweiß zu erzeugen, bei Insekten liegt das Verhältnis bei eins zu drei! Um die Welternährungsprobleme zu lösen, müssten sie einfach in größerer Masse produziert und dadurch billiger werden — wie Solarenergie. Die ist momentan auch noch teuer — aber sie ist trotzdem der Strom der Zukunft.



von ingo_mocek
http://www.neon.de/kat/wissen/koerper/e ... n/544.html