"Massive Gewalt" und vernichtete Akten im Schloss Wilhelminenberg

Zu diesem Resümee kam nun die Kommission unter Leitung von Barbara Helige - Heiminterne Akten fehlen, offene Fragen bleiben.
Wien - Auf 344 Seiten hat die Wilhelminenberg-Kommission zusammengefasst, was sie in eineinhalb Jahren Recherche über das ehemalige Kinderheim in Ottakring herausgefunden hat. Der Bericht belegt, dass dort über Jahrzehnte mit "massiver physischer und psychischer Gewalt" gearbeitet wurde und die politischen Verantwortlichen davon wussten.

217 Interviews führte die vierköpfige Kommission unter Vorsitz von Richterin Barbare Helige; 140 mit früheren Heimkindern, 28 mit ehemaligen Erziehern. Zusätzlich nahm sie "in alle notwendigen Akten" Einsicht - so diese noch existieren. Wörtliche Schilderungen früherer Zöglinge oder Erzieher des Heimes aus der Zeit von 1948 bis 1977 füllen viele Seiten des Endberichts, der in komprimierter Form und mit einer Liste über etwa 20 bis 30 Namen möglicher Beschuldigter baldestmöglich an die Staatsanwaltschaft übergeben werden soll.

Bericht an Staatsanwaltschaft.
Inwieweit Täter noch zur Verantwortung gezogen werden können, müsse die Justiz klären, sagte Kommissionsmitglied Helge Schmucker, ehemals Richterin. Es sei möglich, dass in einzelnen Fällen noch keine Verjährung eingetreten sei. Die Gewaltakte sind laut Bericht über das damals noch geltende Züchtigungsrecht hinausgegangen. Seit 1956 war laut Gesetz zudem verboten, Kinder im Heim zu schlagen. Dagegen sei aber massiv verstoßen worden.

Die Kommission hatte sich im November 2011 im Auftrag der Stadt konstituiert. "Für uns war selbstverständlich, dass wir unabhängig arbeiten", sagte Helige. Ihr Team nahm Einsicht in Akten der Jugendämter und der Magistratsabteilung zwei, die für Personalangelegenheiten zuständig ist. Da der Zugang zu deren Archiv der Kommission eine Zeitlang nicht möglich gewesen war, hatte diese die Arbeit kurzzeitig ruhen lassen. Nach Abklärung und mit einem Bescheid der Datenschutzkommission seien aber auch von dort "alle nötigen angeforderten Akten" zur Verfügung gestellt worden, sagte Helige.

Die Aufarbeitungsgruppe geriet aber auch an ihre Grenzen: Im Jahr 1977 sollen nämlich alle internen Akten des Kinderheims vernichtet worden sein - "ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang", wie Psychiaterin Gabriele Wörgötter sagte. Eine Zeugin soll davon erzählt haben, dass Lkw die Dokumente abtransportiert hätten. Wer hinter dieser angeblichen Aktenvernichtung steckte, sei nicht eruierbar gewesen, sagte Helige.

Die Vorwürfe über sexuellen Missbrauch durch Erzieher, andere Heimangestellte oder haus*externe Personen fand die Kommission aber durch mehrere Aussagen bestätigt. Hinweise auf hinter den sexuellen Handlungen steckende organisierte Zuhälterei habe man keine gefunden. Es dürfte aber "dutzende Male" vorgekommen sein, dass fremde Männer für sexuelle Handlungen an Kindern ins Heim gelassen wurden, sagte Historiker Michael John dem STANDARD.

Die Kommission forderte die Stadt Wien auf, sich erneut öffentlich bei den Betroffenen zu entschuldigen. Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (SP) sagte, "als Stadt Wien übernehmen wir die Verantwortung". Oxonitsch geht davon aus, dass das Heim im 16. Bezirk kein Einzelfall war: "Der Wilhelminenberg war hier Pars pro Toto." Sollte es weitere Opfer geben, die sich bisher nicht gemeldet haben, bleibe dafür der Weiße Ring als Anlaufstelle. Dieser entscheidet auch, anders als die Helige-Komission, über etwaige Entschädigungszahlungen.
(Gudrun Springer, DER STANDARD, 13.6.2013)