0
Unser Kolumnist ist mit einer Ausländerin verheiratet. Diese lebt gerne in Deutschland, versteht aber uns Deutsche manchmal nicht so richtig. Tobias Schönpflug schrieb auf, warum und präsentiert hier das Protokoll der nationalen Ungereimtheiten.
Meine Frau ist stolz, eine Deutsche zu sein – obwohl sie noch gar keine ist. Dabei könnte sie schon längst eine sein. Aber ihre Einbürgerung scheiterte bisher kläglich. Natürlich nicht an der deutschen Bürokratie, die bisher immer freundlich und aufgeschlossen war, sondern an meiner chronischen Formular- und Behörden-Allergie.
Aber meine Frau ist trotzdem stolz eine Deutsche zu sein. Das hört man sofort, wenn sie in ihrer alten Heimat Ecuador über ihre neue Heimat Deutschland redet. Um ein Uhr morgens fahre sie mit dem Kinderwagen sicher nach Hause! Die Autotür habe sie aus Versehen aufgelassen und keiner nahm das Auto mit! Die Männer flippen nicht sofort aus, sobald sie einen Minirock sehen! Die Kinder sehen wenig fern, trinken kaum Cola, erhalten eine Überdosis Spielplätze, wachsen deswegen unverkrampft auf.
Die Deutschen sind voller Widersprüche
Sobald sie wieder in Deutschland ist, geschieht ein Wunder. Die Stimmung kippt nach anfänglicher Wiedersehensfreude. Dann ist sie wieder genervt von uns Deutschen. Das bemerkenswerte ist, wovon sie genervt ist. Es ist einfach nicht das, was wir denken. Es ist nicht die deutsche Ordnungsliebe (Südamerikaner sind viel penibler, wenn es um Hygiene, ordentliches Auftreten und Haushalt geht).Es sind nicht die Nazis, die sie nur aus den Nachrichten kennt. Und es sind schon gar nicht die Nachbarn, die unseren Partys gegenüber eine fast masochistische Toleranz entgegenbringen. Es sind ganz andere Dinge. Widersprüche, über die Sie wahrscheinlich noch nie nachgedacht haben. Hier sind die fünf deutschen Phänomene, von denen meine Frau am meisten genervt ist:
Das Schlimmste ...
... an Deutschland sind die Ärzte. Mit ihrer Philosophie, dass man so viel wie möglich auf die selbst heilenden Kräfte des Körpers vertrauen sollte, treiben sie meine Frau zur Weißglut und auf den Schwarzmarkt. Sie vermisst die Vitaminspritzen gegen Grippe, die man sich in ihrer Heimat einfach selbst verschreibt, und die vom Apotheker hinter dem Tresen persönlich injiziert werden.
Dass Frauen 48 Stunden in den Wehen liegen, versteht sie nicht. Auch nicht, dass die Schmerzmittel so spät wie möglich verabreicht werden. Ihr Fazit: „Deutsche Ärzte mögen, dass die Menschen leiden. Je länger, desto besser.“
Das Zweitschlimmste ...
... an Deutschland ist, dass die Deutschen nicht nüchtern oder bei hellem Licht tanzen wollen. Sie versteht das nicht. In Ecuador kann man Partys ab vier Personen und zwölf Uhr mittags feiern. Und wenn nur drei Personen anwesend sind, springt die Oma ein.
Ihr Fazit: „Die Deutschen schämen sich nicht, der ganzen Welt am Strand ihre blanken Brüste, wabbligen Bäuche oder nackten Hintern zu zeigen. Aber sie schämen sich, dass man ihnen angezogen beim Tanzen zusieht.“
Das Drittschlimmste ...
... an den Deutschen ist, dass sie sich so wenig selber mögen. Das hat sie schon in ihrer Heimat beobachtet. Während jeder Latino laut schreiend auf jeden Landsmann zu rennt, den er in der Ferne trifft, hassen ein Deutscher es, im Ausland von anderen Deutschen als ein solcher enttarnt zu werden („Jeder Deutsche denkt anscheinend, er ist Christoph Kolumbus, der Südamerika entdeckt.“).
Sie hat auch eine Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten: Deutsche haben eine gespaltene Persönlichkeit. Einerseits sind sie die, die sie in Deutschland sind (tanzen nicht bei Licht, grüßen keine Unbekannten, tragen langweilige Outfits). Andererseits bricht aus ihnen im Ausland eine Urlaubspersönlichkeit hervor (Tanzen mittags an der Strandbar, grüßen jeden, tragen grelle, peinliche Outfits).
Das Übereinstimmende in ihrem Verhalten ist nur, dass sie in beiden Fällen zum Entsetzen der Einheimischen gerne oben ohne oder ohne Badehose sonnenbaden. Ihr Fazit: „Die Deutschen sind in Deutschland so wie sie sind und im Urlaub, so wie sie eigentlich sein wollen.“
Das Viertschlimmste ...
... an den Deutschen ist ihre manische Hilfshemmung. Meine Frau versteht nicht, dass ihr kein Mensch hilft, wenn sie sich während ihrer Schwangerschaft vor Schmerzen auf der Straße windet, aber alle Bekannten und Unbekannten ihr eine komplette Babyausstattung vererben wollen.
Die Deutschen kämpfen überall in der Welt gegen Gewalt und Folter, greifen aber in der Regel nicht ein, wenn ein Vater sein Kind an der Bushaltestelle neben ihnen schlägt. Ihr Fazit: „Die Deutschen helfen gerne, aber nur aus der Ferne.“
Das Fünftschlimmste ...
an den Deutschen ist ihre merkwürdige Einstellung zur Romantik. Warum finden sie es besonders romantisch, kuschelig und gemütlich, wenn es dunkel ist? Bei Licht kann man dem anderen doch viel offener entgegentreten. Ihr Fazit: „Romantik ist für die Deutschen, wenn sie das Gesicht ihres Gegenübers nicht richtig sehen können.“
So sieht das meine Frau. Denken sie vielleicht einfach mal drüber nach, wenn sie wieder nach einem FKK-Tag am See besoffen im Dunkeln tanzen und das total romantisch finden.
Focus online
Artikel vom 6. September 2007
Wie berwerten eure Frauen uns Deutsche?
Lesezeichen