Eine Französin kreiert Parfüms, die wie geliebte Menschen riechen. Auf die Idee kam sie durch ihren verstorbenen Vater. Der Toten-Duft soll 560 Euro kosten und ein bestimmtes Gefühl vermitteln.

Niemand hat sie besser beschrieben als Marcel Proust, die Macht der unwillkürlichen Erinnerung. Sie kommt hoch mit Geschmäckern oder Gerüchen und ist machtvoller als jedes Wort, jedes Foto. Bei ihm war es ein kleines Stück Madeleine. In seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" erzählt Proust, wie der Geschmack des in heißen Tee getauchten Biskuits die Vergangenheit vor seinem inneren Augen auferstehen lässt und mit ihr die Menschen, die er verloren hat.

Nach genau so einem Madeleine-Erlebnis hat sich Katia Apalategui auch gesehnt, als sie ihren Vater verlor. Neun Monate lag er im Sterben. Er war schwerer Diabetiker, ein Mann, der nie auf die Ärzte gehört hatte, "ein richtiger Dickkopf, mit 64 gestorben, viel zu früh", sagt die 52-jährige Französin aus Le Havre. Wenn sie die Trauer überfiel, wenn der Schmerz am größten war, sah sie sich Fotos von ihm an, Filme, sie hörte alte Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter ab. Aber so richtig half das nicht. "Sein Geruch fehlte mir am meisten."

Als sie das irgendwann ihrer Mutter sagte, konnte die kaum glauben, dass es ihrer Tochter genauso ging wie ihr. "Dann gestand sie mir, dass sie seinen Kopfkissenbezug aufgehoben und absichtlich nicht gewaschen hatte, um hin und wieder dran riechen zu können."

In dem Moment hatte Apalategui ihre Geschäftsidee: Wieso nicht den Duft von Verstorbenen analysieren, chemisch nachahmen, in Flakons füllen und dann verkaufen?

Es geht ihr um "olfaktorischen Trost"

"Wenn es mir und meiner Mutter so geht, dann anderen bestimmt auch", dachte sie sich. Schnell unternahm Apalategui eine kleine Marktstudie: Allein in Frankreich gibt es jährlich 560.000 Todesfälle. Tendenz steigend. In 30 Jahren, wenn die Generation der Babyboomer das Zeitliche segnet, werden es 740.000 sein. Milliarden werden für Beerdigungen ausgegeben, rund 700 Millionen Euro allein in Frankreich für Blumen, Kränze, Accessoires. "Genau das ist unser Geschäftssegment", sagt Apalategui. Sie findet nicht, dass das makaber ist. Es geht ihr schließlich um Unterstützung, um das, was sie "olfaktorischen Trost" nennt.

Sieben Jahre ist es her, dass ihr Vater gestorben ist. Seither arbeitet die Versicherungsvertreterin unablässig an ihrer Geschäftsidee. Anfangs ging sie ganz naiv an die Sache heran. "Ich hatte null Ahnung von Chemie." Also besuchte sie Chemiemessen, las Fachbücher, sprach mit Parfümeuren. Zwei Jahre lang reiste sie von Chemiker zu Chemiker, bis sie schließlich an der Universität ihrer Heimatstadt fündig wurde. Dort, in der nordfranzösischen Hafenstadt Le Havre, gibt es eine Forschungsabteilung für organische und makromolekulare Chemie. Die Wissenschaftler waren interessiert an ihrer Idee und legten los.

Inzwischen hat Apalategui mit ihrem Sohn Florian, der eine Wirtschaftsschule in Paris besucht, ein Start-up-Unternehmen gegründet und ein Labor in einem Gründerzentrum eingerichtet, das vom Staat finanziell unterstützt wird. Wenn alles läuft wie geplant, wird ihre Firma Kalain im September erste Flakons mit speziellen Totendüften ausliefern können. 560 Euro soll so ein Fläschchen kosten. "Ist schließlich keine Massenware, sondern maßgeschneidert", sagt Apalategui. Und ähnlich wie bei einem Parfüm hält sich der Duft bei Raumtemperatur und ohne direkte Sonneneinstrahlung etwa zwei Jahre.

50 Moleküle, die eine Person ausmachen

Wie genau das Verfahren technisch funktioniert, will Apalategui nicht verraten. Géraldine Savary, eine Chemikerin des Projektes, erklärt lediglich grob die Vorgehensweise: "Wir nehmen ein getragenes Kleidungsstück, extrahieren rund 50 Moleküle, die den Geruch der Person ausmachen, der dann chemisch kopiert und schließlich in Alkohol konserviert wird."

Das erinnert ein wenig an das Treiben des Parfümeurs und Mörders Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds Bestsellerroman "Das Parfum". Der Mann mit dem phänomenalen Geruchssinn sammelt im 18. Jahrhundert die Düfte von Frauen und konserviert sie in Flakons. Grenouille taktiert, intrigiert mithilfe seiner Parfüms, löst Gefühle und sogar Massenhysterien aus. Allerdings muss er die Frauen dafür umbringen.

Das Wort Parfüm mag Apalategui gar nicht. Es ginge hier schließlich nicht um Duftmarken wie "Eternity" oder "Egoiste". Der Geruch soll eine andere Form der Erinnerung ansprechen. Inzwischen haben Wissenschaftler nachgewiesen, dass Proust gar nicht so falsch lag: Geschmäcker und Gerüche sprechen Gehirnregionen an, die nichts mit dem Wort- und Zahlengedächtnis zu tun haben.

"Geruch", sagt sie, "ist einfach unverkennbar." Ihre Idee will sie deshalb nicht nur auf Tote beschränken: Schmusetiere und Tücher von Kleinkindern könnte man mit dem Duft ihrer Mütter benetzen. Auch den eigenen Duft zum Valentinstag zu verschenken, hält sie für eine originelle Idee.
Und wie roch ihr Vater? "Es war eine ganz eigene Mischung", sagt Apalategui, "eine Mischung aus seinem Körpergeruch, seiner Krankheit, aus Fahrenheit, seinem Parfüm, und nicht zu vergessen dem Gestank seines kleinen Terriers, der die letzten Monate nicht von seiner Seite wich."

Von Martina Meister (Die Welt, 5.5.2015)